2. Gedanken

2.1 Hommage an die Simulation des Realen

A. Fesselung

Ich bin im Jahre 1980 geboren, einer Zeit, in der der leise Krieg erschaffen wurde und in der die menschliche Ratio sich schließlich den stillsten Tempel schuf, den sie sich je erdachte: die Elektronik. Mit dieser Stille geht eine Tendenz einher, das Körperliche zu überwinden. Seit dem Beginn der 80er-Jahre war der wissenschaftliche Fortschritt weitestgehend darauf fokussiert, die Struktur der Natur selbst zu durchschauen und auf verschiedene Weisen zu reproduzieren. Eine solche Reproduktion auf der Basis der Struktur, nicht auf der Basis des sinnlich erfahrbaren Körpers, ist verknüpft mit einer Verschiebung unserer Aufmerksamkeit auf den Teil der Realität, der nicht direkt durch die äußeren Sinne wahrnehmbar ist, nicht für eine „körperliche Wahrnehmung“ geschaffen ist. Es ist die Beschäftigung mit Aspekten der Realität, die sich nur über den „Umweg“ des Verstandes auffinden lassen. Der Schritt von der Imitation der Naturgesetze zu ihrer Simulation, also Nachbildung mit anderen Mitteln, kann nicht allein durch genaue Betrachtung und Nachahmung des Gesehenen erreicht werden, sondern verlangt ein strukturelles Verständnis der Vorgänge. Dieser Schritt von der Imitation hin zur Simulation ist etwa vergleichbar mit der neu errungenen Erkenntnis der Renaissance, mithilfe geometrisch-mathematischer Konstruktionsmethoden ein perspektivisch nicht mehr nur äußerlich, sondern nun strukturell korrektes Abbild des Gesehenen zu erzeugen. Die Elektronik und alles, was sich aus ihrer Funktion ergibt, schreibe ich einem neu erschaffenen Raum des „reinen Denkens“ zu, in der sich das Körperliche auf ein Minimum zu reduzieren versucht.

Man kann sagen, dass sich seit den 80er-Jahren die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit richtet, Realität auf der Basis von synthetischen Formeln auszudrücken und zu reproduzieren. Ein solcher Rekreationsprozess beinhaltet die Verheißung, dass es sich beim Produkt nicht um eine Darstellung, sondern um ein vitales Eigenwerk handelt. Besonders im Science-Fiction-Genre ist es der technisch denkende Geist, die Ratio, nicht der Geist der Beseeltheit, der den Menschen seiner Verheißung näher bringt, sich aus dem Gefängnis seines Körpers zu befreien, sein Ebenbild selbst zu erzeugen und aus dem Verstricktsein des sterblich-körperlichen Geschöpfs in die rein denkende Göttlichkeit aufzusteigen.

    • Am Tage, da die schöne Welt für uns begann, begann für uns die Dürftigkeit des Lebens und wir tauschten das Bewußtsein für unsere Reinigkeit und Freiheit ein. – Der reine leidensfreie Geist befaßt sich mit dem Stoffe nicht, ist aber auch sich keines Dings und seiner nicht bewußt. Für ihn ist keine Welt, denn außer ihm ist nichts. – Doch, was ich sag’, ist nur Gedanke. [1]

Den Vorgang der Neuerschaffung auf der Basis des Bewusstseins möchte ich im Folgenden weiterhin als „Simulation“ bezeichnen und ihn damit von der reinen „Imitation“ oder „Nachahmung“ abgrenzen. Die „Simulation“ lässt sich gegenüber der reinen Darstellung dadurch unterscheiden, dass sie ein mit den Mitteln des Verstandes erschaffenes Konstrukt ist, das das bisher Bekannte auf struktureller Basis reproduziert. Hierbei mag der Schöpfer jederzeit dem heimlichen Wunsch unterliegen, sein Konstrukt wäre lernfähig und ganz autonom funktionstüchtig und könnte ihn eines Tages an Fähigkeit, Präzision oder Geschwindigkeit übertreffen. Dieser nächste Schritt, die Übermacht des Werks über seinen Schöpfer, fördert eine elementares Problem zutage: dass der Schöpfer nämlich mit der Herstellung des obersten Werks zugleich die Weichen für seine eigene Sinnlosigkeit gestellt hat. Hybris und Nemesis fallen auf einem Punkt zusammen, Sünder und Gott sind dieselben.

Der Beginn der 80er-Jahre markiert nun einen jener Zeitpunkte in der Geschichte, in der es der Menschheit vergönnt war, das elegante Produkt ihrer Ratio mit den äußeren Sinnen, also auf sinnliche, profane und direkte Weise, zu erfahren. Die Welt der virtuellen Realität, ermöglicht durch die stille, beinahe körperlose Elektronik, simulierte bereits früh ihre Autonomie und stellte von Anbeginn die Übersteigung der menschlichen Möglichkeiten in Aussicht, besonders hinsichtlich Geschwindigkeit oder Lebensdauer. Hinter dem Stolz, der aus den Früchten menschlichen Forschens quoll, lauerte auch schon die Depression: Mit ihrer Präzision, Stille, eleganten Körperlosigkeit, Unsterblichkeit, rechnerischen Geschwindigkeit und in völliger Gleichgültigkeit voran arbeitenden Ausdauer führte die Virtualität – in den kurzen dunklen Momenten zwischen der globalen Zukunftseuphorie – ihrem Schöpfer seine Beschränktheit allzu deutlich vor Augen. Diese Düsternis hat sich innerhalb des Science-Fiction-Genres als Cyberpunk etabliert.

Die Zwiespältigkeit des Science-Fiction-Genres – in die glorreiche Verheißung einer zweiten Chance für die Menschheit einerseits und in die Sinnlosigkeit des Menschen im Angesicht seiner Schöpfung andererseits – spiegelt die Ambivalenz menschlichen Bewusstseins wider: Es bedeutet Freiheit aus der Knechtschaft der Natur, gleichzeitig ist es aber auch sein Gefängnis, da es ihn von seinen eigenen Möglichkeiten abhängig macht. Kein Gefühl von Glück besteht mehr außerhalb des Errungenen. Der Modus der Kontrolle hat den einstigen Traumzustand vertrieben. Der unserer Spezies immanente Narzissmus ist Antrieb und Verhängnis zugleich. War zuvor sein Dasein in sich selbst gerechtfertigt und ein jeglicher Zweifel an dessen Sinnhaftigkeit ausgeschlossen und unmöglich, so ist sein Dasein nun von eben diesem Zweifel dauerhaft getrieben. Die vorgegebene Grundrechtfertigung ist mit der Loslösung aus den Fesseln der Natur verloren gegangen und muss nun durch den Menschen selbst erbracht werden. Hat er sich von den einen Fesseln befreit, so legte er sich im Akt dieser Befreiung die nächsten schon an. Genauer gesagt, sind es dieselben Fesseln, nämlich diejenigen der verloren gegangenen Bewusstlosigkeit. Mit dem Moment des ersten Zweifels am natürlich Gegebenen, der ersten Witterung einer Möglichkeit der Befreiung, sind der menschlichen Spezies diese Ketten angelegt worden.

In der menschlichen Geschichte folgen auf Dekaden der Selbstbefreiung mit den Mitteln des Bewusstseins gewöhnlich einige Jahre spiritueller Besinnung. Sei es nun die Besinnung auf einen Gott oder auf die Natur, jedenfalls wendet sich der Blick periodisch, gewöhnlich im Rhythmus einiger Jahrzehnte, vom Werk ab und hin zum Ursprung. Was zuvor sich als Schöpfer begriff, versteht sich dann als Geschöpf. Man mag nach den Jahrzehnten von Industrialisierung und Technologisierung, besonders hinsichtlich Mechanik und Rüstung, die Hippie-Bewegung in den 60er- und 70er-Jahren als einen jener Momente begreifen, in dem der Mensch sich wieder einmal vom Werk zum Ursprung wandte. Eine solche Rückbesinnung kommt dem traumähnlichen Zustand nahe, von dem oben bereits die Rede war.

    • Nun fülen wir die Schranken unsers Wesens und die gehemmte Kraft sträubt ungeduldig sich gegen ihre Fesseln, und es sehnt der Geist zum ungetrübten Aether sich zurük. [1]

In der Beobachtung dieses periodischen Ablaufs offenbart sich die Ambivalenz menschlicher Sehnsucht. Ein Wesen, dauerhaft eingeklemmt zwischen zwei Ämtern: Schöpfer und Geschöpf. Im Zustand des Geschöpf-Seins ist der Mensch im reinsten Falle ohne Bewusstsein. Seine Einswerdung mit der ihn umgebenden Welt ist gewöhnlich mit Begriffen wie „Ekstase“ oder „Beseeltheit“ verknüpft. Da das Bewusstsein für uns aber nicht nur ein optionales Hilfsmittel ist, sondern zum lebenserhaltenden Werkzeug wurde, das mehr und mehr die verlorenen gegangenen Fähigkeiten, sich mittels tierischer Werkzeuge wie des Instinkts gegen äußere Gefahren zu verteidigen, ersetzt, ist es uns nicht dauerhaft möglich, als von der göttlichen Schöpfung unabgegrenztes Wesen zu existieren.

    • Doch ist in uns auch wieder etwas, das die Fesseln gern behält, denn würd in uns das Göttliche von keinem Widerstande beschränkt – wir fülten uns und andre nicht. Sich aber nicht zu fülen, ist der Tod, von nichts zu wissen, und vernichtet seyn ist Eins für uns. [1]

 

B. Das Paradox der Entfesselung

In der Ausformulierung der Möglichkeiten, die sich aus unserem Bewusstseinsapparat ergeben, liegt eine Hoffnung auf Trost. Möglicherweise treibt uns nicht nur Narzissmus, sondern auch Angst. Das Simulakrum ist der größtmögliche Trostspender, denn es ermöglicht uns einen Blick auf uns selbst von außen, und zwar mit mittels der äußeren Sinne. Können wir uns schon nicht von den Fesseln des Bewusstseins befreien, so liegt in der sinnlich wahrnehmbaren Simulation des Realen, namentlich in der Virtualität, die Möglichkeit auf einen spielerischen Umgang mit dem im Zustand des Bewusstseins erlangten und strukturell reproduzierten Wirklichkeit. Obwohl wir im Realen bleiben, was wir sind, nämlich Gefesselte, haben wir durch das Simulakrum im Realraum ein Fenster geschaffen, aus dem wir in ein freies Feld blicken, um uns das Entfesseltsein sinnlich wahrnehmbar zu machen. Das Spiel mit dem Simulakrum ist der große Wachtraum unseres Bewusstseins.

    • Der Kaiser – so heißt es – hat Dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade Dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet. Den Boten hat er beim Bett niederknieen lassen und ihm die Botschaft ins Ohr zugeflüstert; so sehr war ihm an ihr gelegen, daß er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ. Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestätigt. Und vor der ganzen Zuschauerschaft seines Todes – alle hindernden Wände werden niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen im Ring die Großen des Reichs – vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt. Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts, wie kein anderer. Aber die Menge ist so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. Oeffnete sich freies Feld, wie würde er fliegen und bald wohl hörtest Du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an Deiner Tür. Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müßte er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor – aber niemals, niemals kann es geschehen - liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – Du aber sitzt an Deinem Fenster und erträumst sie Dir, wenn der Abend kommt. [2]

Im Gegensatz zu allen anderen technologischen Errungenschaften des menschlichen Geistes liegt in der virtuellen Simulation des Realen das Angebot, die Beschränktheit des Bewusstseins im träumerischen Spiel zu vergessen. Es ist von den Fesseln der Natur unabhängig, da es ein Werk unseres autonom wissenden und handelnden Geists ist. Zugleich aber ist es außerhalb des menschlichen Stolzes und seiner Sucht nach Selbstrechtfertigung eigenständig vital. Es ist wirklich frei. Es ist eine direkt wahrnehmbare Realität, die zunächst von der Natur, unserem Schöpfer, zuletzt aber sogar von uns selbst, ihrem Schöpfer, unabhängig ist. Diese vollkommene Unabhängigkeit wahrzunehmen, wird von uns zumeist als Genuss empfunden. Die Bewunderung der Errungenschaft unseres Bewusstseins kann diesem reinen Genuss gegenüber wenigstens für einige Momente in den Hintergrund rücken.

 

C. Die Vollkommenheit der Annäherungswerte

Mathematik mag als eine Sprache der Natur begriffen werden, aber gewiss ist sie nur eine von vielen möglichen, und darüber hinaus ist das mathematische Zahlen- und Bezugssystem, wie wir es hier und heute kennen, nur wieder eine Variante unter vielen anderen möglichen, die für uns zumeist undenkbar sind. Letztendlich hat sich die Mathematik vom Beobachtungs- zum Schaffenswerkzeug entwickelt. Ihre Ordnungssysteme sind das Ackerland für eine neue Schöpfung. Ihre Fruchtbarkeit hat das Gedeihen der virtuellen Realität als einen eigenständigen Erlebnisraum ermöglicht. Das fruchtbringende Potential der Mathematik liegt im Wesentlichen im Aspekt der Iteration, der schrittweisen Annäherung ans perfekte Original. Die Tatsache, dass die Realität nicht reproduziert, sondern simuliert wird, verleiht dieser neuen Realität erst ihre Unabhängigkeit, ihre Schönheit und damit eine zweite Vollkommenheit. Das Paradox der Simulation im virtuellen Raum besteht darin, dass sie gerade durch ihre ihr ganz eigene Art der Imperfektion in gewisser Weise ein Original hervorbringt. Da sie auf algorithmischer Basis Wege der Annäherung findet, statt nach Wegen der Darstellung zu suchen, ist sie die Mutter einer neuen Schöpfung und nicht die Leihmutter einer bereits bestehenden. Ich möchte hier die Ansicht vertreten, dass eine auf Basis mathematischer Erkenntnis erzeugte Simulation, also strukturelle Rekreation, wie sie im virtuellen Raum erlebbar wird, einen höheren Originalitätsanspruch hat als ein Gemälde, das eine Imitation des Wirklichen auf der Basis menschlichen Augenscheins ist. Zwar hat Letzteres einen Vater (den jeweiligen Autor), dafür aber keine Mutter, die es wahrhaftig gebar. Und die virtuelle Realität kann auf einen einzelnen benennbaren Vater (als Ausführender eines künstlerisch-menschlichen Interpretationsprozesses) ruhig verzichten, hat sie doch eine Mutter von solch unüberschaubarer Weisheit: die Mathematik. Radix Matrix.

Der Transformationsprozess, der nicht Imitation ist, sondern algorithmische Iteration, der mehr Transkription ist als Interpretation, mag dem Grundprozess menschlichen Erlebnisses der Wirklichkeit, wie ihn Plato im Höhlengleichnis metaphorisch beschrieben hat, recht nahe kommen. So unumstößlich evident sich uns eine Wirklichkeit darstellt, die eigentlich bereits das Ergebnis einer Übersetzung ist, welche sich in den tieferen Regionen des Geistes vollzieht, so absolut und eigenständig gültig mag auch die virtuelle Realität sein, das Ergebnis einer Iteration, vollzogen in den Gründen der Mathematik.

 

D. Die doppelte Transformation

„Sphäre 12/16“ soll nun eine Hommage an die Simulation sein. Mittels körperlich-mechanischer Konstruktionsvorgänge wird schließlich die Simulation selbst zitiert, und elektronische Elemente helfen, aus dem mechanischen Konstrukt eine autonome Sphäre des Vergessens zu machen. Im Innern der Kugel gleichsam uteral eingehüllt, erlebt der Spieler die imaginierte Überwindung seiner Fesselung. Im rein Realen jedoch, aus der Sicht des Zuschauers, wird ein rollendes Gefängnis sichtbar sein, ein schweres Eisenkonstrukt, laut und roh, das Werk menschlichen Verstandes, entstanden aus menschlicher Sehnsucht nach Selbstrechtfertigung.

Mein Hauptinteresse richtet sich hierbei nicht auf die Ästhetik von 3D-Simulationen selbst, sondern auf die Charakteristik der Transformationsprozesse, die zwischen Realraum und Simulation stattfinden. „Sphäre 12/16“ wohnen gleich zwei dieser Transformationen inne: Zum einen behandelt sie den unkörperlichen mathematischen Simulationsraum, der eine Übersetzung der Realität ins Virtuelle bedeutet, zum anderen reproduziert sie ihn aber mit physisch-haptischen Mitteln, das bedeutet, sie holt das Ergebnis der virtuellen Übersetzung in den Realraum zurück.

Bei der Konstruktion der Sphäre und ihrer Komponenten war es mir wichtig, auf externe automatisierte Hilfsmittel weitestmöglich zu verzichten. Stattdessen habe ich die Automation, wie wir sie aus Serienproduktionen in der Industrie kennen, mit manuellen Mitteln nachgestellt. Im Herstellungsprozess bin ich selbst zur Maschine geworden, die auf Basis eines zuvor erdachten und auf Funktion geprüften Systems schließlich nichts weiter tut, als dieselben Vorgänge immer wieder auszuführen: abmessen, zusägen, verschweißen, verlöten, verdrahten usw.

 

E. Sphäre

Dass meine Hommage sich in Form einer Sphäre darstellt, ist nicht nebensächlich. Wenn ich mich mit dem fundamentalen Unterschied zwischen dem Ideal und dem Weltlichen, zwischen reinem Gedanken und unreinem Körper beschäftige, so muss ich, um dieser Auseinandersetzung gerecht zu werden, auf eine Urform des Seins zurückgreifen. Immerhin verbringt der Mensch sein Leben in Kugeln. Hat er den Uterus verlassen, so findet er sich auf einem Erdball wieder, der von einer Atmosphäre umgeben ist und unter der er, wie im Innern einer Kugel, bis zum Tode verweilt. Was gemeinhin ohne Absicht und Bewusstsein geschieht und gewöhnlich zweifellos dem weltlichen Vollzug zuzuschreiben ist, gewinnt im Reich des Denkens eine andere Dimension. Wie Peter Sloterdijk in „Sphären II – Globen“ darlegt, ist die Kugel seit der griechischen Antike das Götterbild des Denkenden. Sie ist eine Idealform, nicht vollkommen berechenbar, ein Mysterium, das gleichzeitig für uns die Substanz des Seins, ihren Ursprung und ihren Aufenthaltsort bildet. In ihrem göttlichen Willen ist sie zweigespalten: Sie verlangt einerseits Aufmerksamkeit des denkenden Geistes, ins Unendliche mündende Berechnungen, von denen wir wissen müssen, dass sie stets Annäherungen bleiben. Wenn wir im Bewusstsein unserer Ohnmacht dann noch weiter denken und den Fehler in der Annäherung zu minimieren suchen, haben wir den Status des denkenden Verehrers erreicht. Der zweite Wunsch der Kugel aber ist die verehrende Betrachtung, ein Zustand der stillen Akzeptanz ihrer Unerreichbarkeit, also Schönheit. Indem ich ihren Innenraum betrete, passe ich mein Verhalten an ihre Geometrie und Statik an. Ich huldige denkend ihrer Form, indem ich sie bediene und belebe. Das Licht, das nach außen hin abgegeben wird, ist nichts weiter als der Ausdruck ihrer Zufriedenheit, die ersehnte Antwort meiner Huldigung, von außen betrachtet ein Schauspiel, das nichts über seine innere Struktur verrät. Der Betrachter vernimmt nichts als die Reaktion auf eine ihm unverständliche Aktion, die sich im Innern der Kugel vollzieht. Was er sieht, ist nicht debattierbar, nicht bis ins Letzte analysierbar. Er muss stumm bleiben und ist zum Unverständnis gezwungen. So steht dem Innenraum als dem Raum des Wissens der Außenraum als derjenigen der gesellschaftlichen Welt gegenüber. Der Innenraum der Sphäre, der Raum des Denkenden, ist dem Außen ein Rätsel.

 

2.1.1 Mechanik

Als Vorbild für die Kugel dienten Polygonkonstruktionen, wie sie insbesondere aus dem 3D-Modelling bekannt sind. Eine Kugel kann als ein Objekt im dreidimensionalen Raum definiert werden, das aus unendlich vielen Kreisen zusammengesetzt ist, die alle denselben Mittelpunkt besitzen und in allen möglichen Rotationen angeordnet sind. Ein Kreis kann als eine Form im zweidimensionalen Raum definiert werden, die aus unendlich vielen Ecken besteht, die zu einem Mittelpunkt alle denselben Abstand haben. Die Unendlichkeit ist mathematisch aber nicht darstellbar. Entsprechend beruht die Kreisform auf einem irrationalen Zahlensystem, was beispielsweise dazu führt, dass sie auf einer orthogonalen Punktmatrix (wie sie in Bildschirmen verwendet wird) niemals tatsächlich dargestellt werden kann. Die Simulation der Darstellung von Kreisformen und Kugeln im virtuellen Raum, insbesondere beim Modelling für Animationen, beruht auf geometrischen Iterations-Algorithmen, die – einfach ausgedrückt – möglichst viele (und damit möglichst kurze) gleich lange lineare Segmente zu Vielecken (Polygonen) zusammenfügen, deren Eckpunkte alle denselben Abstand zum Mittelpunkt haben, wobei aber die ideale Form, das „Unendlich-Eck“ niemals erreicht werden kann.

In „Sphäre 12/16“ wurden zur Herstellung der Kreisformen keine gebogenen Eisenstäbe verarbeitet. Indem stattdessen alle Kreise aus mehreren geradlinigen Elementen zusammengesetzt sind, zitiert das Objekt strukturell das Prinzip des 3D-Modellings.

 

2.1.2 Elektronik

Die Rechteckschwingung, die von den 555-Timern generiert wird, zeichnet sich gegenüber der Sinusschwingung durch eine härtere Klangcharakteristik aus. Da die beiden Halbquadrate in der Schwingungsform, die vom 555-IC generiert wird, genau gleich breit sind, wird ein Klangspektrum erzeugt, in dem nur ungradzahlige Obertöne enthalten sind. So kommt ein seltsam hohler Klang zustande, ähnlich einer Klarinette. Rechteckschwingungen sind vor allem aus den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren bekannt, als in Autorenn- oder Flugsimulatoren am Computer die Motorengeräusche durch Rechteckschwingungen simuliert wurden. Die Rechteckschwingung ist ein elementares Element der Digitaltechnik, da sie nur die Zustände „an“ und „aus“ kennt. Jede Umsetzung einer Rechteckschwingung in einen „Realraum“ bringt allerdings ohnehin eine Flankenglättung mit sich, zum Beispiel verursacht die Trägheit der Membran des Lautsprechers bereits eine Abrundung der Schwingung und bringt sie somit der Sinusform näher. Hieran äußert sich die Einflussnahme des Profanen auf den Idealraum. Da er reine Gedanke so undarstellbar ist wie das Göttliche selbst, bedarf es zur Ausformulierung für den Außenstehenden eines Kompromisses, der aber nicht als Störung eintritt, sondern als eine natürliche Gesetzmäßigkeit ihre Rechtfertigung findet.

 


Quellen:
[1] Aus: Friedrich Hölderlin, “Hyperions Jugend” (1795), 2. Kapitel.
[2] Franz Kafka, “Eine kaiserliche Botschaft” (1917).